Wohin geht Biedenkopf?

Ein Gespräch mit unseren ersten drei Listenplatz-Kandidaten Dr. Manfred Bäcker (Listenplatz 1), Markus Plitt (Listenplatz 2) und Christoph Cerny (Listenplatz 3)


Zukunft für Biedenkopf heißt die Wählergemeinschaft. Was steht denn aktuell einer positiven Zukunft für Biedenkopf im Weg?

Markus Plitt: Aus meiner Sicht steht die Vergangenheit ein bisschen im Wege. Da wurden viele Themen angefasst, die sich zuletzt totgelaufen haben. Es ließen sich viele Beispiele aufzählen. In den letzten Monaten und Jahren haben wir beobachtet, dass die Stadt – die politische Stadt – auf bestimmte Missstände zwar reagiert hat, andere aber von sich aus nicht aktiv angegangen ist. Stadt und Ortsteile sollten aber von sich aus agieren und dabei motiviert sein, neue wie auch längst begonnene Themen zu Ende zu bringen.

Manfred, Christoph: Was war entscheidend für euch, zu sagen, ich fühle mich mit meinen Interessen in der bisherigen Parteienlandschaft nicht aufgehoben?

 Dr. Manfred Bäcker: Die Bürgerhaus-Frage war letztlich der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat – deshalb mein Ausscheiden aus der Fraktion. Davor aber gab es, schon 2016, unterschiedliche Ansichten zur Sackpfeife, später zum Thema Sauberkeit in der Stadt und zur Straßenbeitragssatzung, um nur einige Beispiele zu nennen. Mein Rücktritt vom Parlamentsvorsitz hat mich schließlich zum fraktionslosen Mandatsträger gemacht und mich in der Bürgerhaus-Frage im Parlament völlig isoliert. Ich hoffe aber, und ich gehe davon aus, dass diese Tage gezählt sind und ich demnächst, das heißt: nach der Wahl, nicht mehr alleine dastehe.

Christoph Cerny: Bei mir war die Initialzündung der Umgang mit der Sackpfeife. Als Skifahrer und Skilehrer für Erwachsene und Jugendliche bin ich ja praktisch da oben aufgewachsen. Ich kann mich daran erinnern, dass unser Skischulangebot von Familien aus den Niederlanden oder auch Darmstadt und Frankfurt angenommen wurde. Wir hatten tatsächlich ein großes Einzugsgebiet.

Es hat sehr geschmerzt, dass nicht nur der Winterbetrieb eingestellt, sondern darüber hinaus immer mehr abgekündigt wurde, ob das jetzt ein Streichelzoo war oder das Kinder-Wigwam. Im Prinzip hat man vom Schachfeld Sackpfeife mehr und mehr Figuren genommen, bis nur noch eine grüne Wiese blieb. Zuletzt brannte dann auch noch die Hütte ab, wobei wir nach wie vor auf die Beantwortung der Frage, ob und wie und wann es mit einer Hütte da oben endlich weitergeht, warten. An solchen Themen, speziell an der Zukunft der Sackpfeife, würde ich gerne konzentriert mitarbeiten.

Markus, gab es auch für dich so eine Art Urknall, einen ersten konkreten Gedanken, dass sich in der Stadtpolitik zu wenig bewegt?

Markus Plitt: Das erste Mal – das knüpft an meine Aussage an, dass die Stadt nur reagiert – war die Geschichte mit den Spielplätzen hier im Stadtgebiet und auch in den Ortsteilen. Für mich war es ein unhaltbarer Zustand, dass mit einem Schlag, mit einer Prüfung ein Großteil der Spielplätze plötzlich nicht mehr bespielbar waren. Ich bin seit vielen Jahren mit in der Verantwortung für den Kindergarten am Galgenberg, ich weiß daher, wie aufwändig es ist, Spielplätze am Laufen zu halten. Aber es ist machbar. Da war jedenfalls ein Punkt erreicht, wo ich sagte, eine Stadt von der Größe Biedenkopfs kann sich so etwas unmöglich erlauben, da muss etwas passieren. Und so nahm das seinen Weg, und immer mehr kam dazu: Sackpfeife, Bürgerhaus, einfach viele Themen, bei denen es im Argen liegt.

 

Ganz viele anstehende Dinge stammen aus der Vergangenheit und sind nach wie vor unerledigt.

 

Die Wählergemeinschaft war kaum gegründet, da hieß es bereits, das Programm von Zukunft für Biedenkopf sei inhaltlich häufig identisch mit jenem der anderen Parteien.

Dr. Manfred Bäcker: Das ist zwangsläufig so, denn ganz viele anstehende Dinge stammen aus der Vergangenheit und sind nach wie vor unerledigt. Man sieht es an den Programmen der Mitbewerber, dass plötzlich vieles aus der Vergangenheit aufgegriffen wird, was bisher versäumt wurde und unsererseits jetzt neu angepackt wird. Eine Sackpfeife wie bisher ist in der Zukunft nicht mehr möglich. Ein Bürgerhaus wie bisher ist in der Zukunft vielleicht in fünf, sechs oder sieben Jahren möglich, falls bis dahin ein Neubau gelungen ist. Aber in der Zwischenzeit steht über all dem ein riesiges Fragezeichen. Dazu kommen dann weitere Fragen um Wohnmobilstellplätze, um eine Park & Ride-Anlage und so weiter, und so weiter – nichts davon ist abschließend behandelt und erledigt. Und das wird es auch nicht, wenn man es zwar aufgreift und auf eine Agenda setzt, dann aber effektiv nichts daran ändert.

Christoph, was wäre für dich das Erste, das für Biedenkopf angegangen werden müsste? Wo ist für dich aktuell die Not am größten?

Christoph Cerny: Im Moment halte ich – das hat auch persönliche Gründe – das Thema Wohnraum für ziemlich brisant. Es ist unglaublich schwierig, bestehende Wohnobjekte zu erwerben, sie befinden sich ja größtenteils in Privatbesitz. So etwas stellt einen vor große Herausforderungen. Wir haben viele privat angesprochen: „Hallo, hier sind wir, wir sind auf der Suche nach Wohnraum.“ Das bezieht sich allerdings nur auf den derzeitigen Bestand. Es geht aber auch um die Möglichkeit, neu zu bauen, um Grundstücke innerhalb der Kernstadt. Da sind die Möglichkeiten, sich irgendwo niederzulassen, mehr als beschränkt. Für Menschen im Alter zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahren ist das ein brennendes und wichtiges Thema. Wir haben viele erfolgreiche Unternehmen im Hinterland. Der Personalbedarf dieser Unternehmen verlangt nach sehr gut qualifizierten Menschen, die auch über die Grenzen des Hinterlandes hinweg gesucht werden. Sicherlich streben diese potenziellen neuen Arbeitnehmer auch kurze Wege zu Ihrem Arbeitgeber an. Aber das kann nur gewährleistet werden, wenn entsprechender Wohnraum zur Verfügung steht, sei es Bestandswohnraum oder die Selbstverwirklichung in einem Neubau.

Zukunft für Biedenkopf betont, dass es nicht um Konkurrenz zu den aktuell regierenden Parteien geht. Vielmehr lädt die Liste zur Zusammenarbeit ein, über Parteigrenzen hinweg.

Markus Plitt: Sollte ich es ins Stadtparlament schaffen, wäre es für mich sehr, sehr wichtig, eine neue Art und Weise des Umgangs miteinander zu finden. Ich bin ein Verfechter der These, dass Parteienlandschaften in der Kommunalpolitik nichts zu suchen haben. Es kann doch hier nicht vorrangig um Parteiinteressen gehen. Es geht vielmehr um das Interesse, die Kommune, die Stadt, die Ortsteile nach vorne zu bringen. Das wäre mein anfängliches Hauptanliegen: Ein bisschen mehr Gemeinsamkeit, ein anderes Denken einzupflegen, das eine Entwicklung nach vorne möglich macht.

Manfred, hast du erste Reaktionen von Bürgerinnen und Bürgern auf die Gründung von Zukunft für Biedenkopf erlebt?

Dr. Manfred Bäcker: Ja, jede Menge, und eigentlich ausnahmslos positive. Gut, wer mir nicht positiv gegenüber steht, geht sowieso wortlos an mir vorbei. Das ist vorgekommen, aber das waren die absoluten Ausnahmen. Denen standen Bürger gegenüber, die nach vorn schauten. Und so begann ich mich zu fragen, was den Leuten hier wirklich fehlt, und aus diesen Überlegungen heraus ist letztlich unsere Agenda zustande gekommen.

Was dir angetragen wurde, war ein Querschnitt all dessen, was die Bürgerinnen und Bürger vor Ort bewegt?

Dr. Manfred Bäcker: Ganz genau. Ich merke das ja immer noch, seit nun alles ein bisschen fortgeschritten ist, wir eine Homepage haben, auf Facebook präsent sind – da wiederholen sich diese Äußerungen der Leute: „Ja, klar, was ihr da anpacken wollt, das ist das, worum es auch uns geht!“ Das sind sehr positive Reaktionen, und das sind sie bis heute auch geblieben.

Wie groß ist die Chance, dass Zukunft für Biedenkopf mit der Idee durchkommt, gemeinsam mit anderen Parteien Politik vor Ort zu gestalten? Werdet ihr da offene Türen einrennen oder eher auf Barrikaden stoßen?

Markus Plitt: Ich schätze die positiven Chancen schon relativ groß ein. Entscheidend dafür wird sein, mit wie vielen Personen wir in die Stadtverordnetenversammlung kommen und wie ernst man uns dort nimmt. Kommen wir mit vier, fünf, sechs Mann da rein, dann ist jedem bewusst, dass man uns ernst nehmen muss und dann können wir versuchen, gemeinschaftlich, mit allen anderen zusammen, etwas zu bewirken. Sind wir mit nur ein, zwei Leuten vertreten, erreichen also keine oder kaum Fraktionsstärke, dann wird es sehr, sehr schwer. Dann wird uns die Rolle des Mahners und Wächters zufallen. Aber entscheidende Änderungen werden kaum möglich sein.

 

Wenn die Sackpfeife nicht ganz verloren gehen soll, müssen alle an einem Strang ziehen.

 

Meckern ist einfach. Aber positiv gedacht: Wo seht ihr – eine gute Politik vorausgesetzt – Biedenkopf in zehn Jahren? Welche Chancen seht ihr für unsere Stadt?

Dr. Manfred Bäcker: Die Stadt hat Chancen, wenn sie auf unsere Ideen eingeht. Wenn das, was Markus eben gesagt hat, wirklich zündet: Dass wir in der Stadtverordnetenversammlung Politik für die Stadt machen, für den Bürger … und nicht für die Fraktionen. Dass wir nicht ins Gegensätzliche verfallen, nur weil eine andere Fraktion eine andere Meinung hat, sondern dass wir immer wieder breiten Konsens suchen und finden. Es gibt mehr als genug Themen, die das dringend gebieten. Wenn die Sackpfeife nicht ganz verloren gehen soll, dann müssen alle an einem Strang ziehen. Wenn das Bürgerhaus – möglichst bald – neu gebaut werden soll, muss dem ein von allen getragener Konsens zugrunde liegen. Ich befürchte allerdings, dass, bis es so weit ist, sehr viele Dinge in Biedenkopf kaputt gegangen sein werden. Es wird dann eine Weile dauern, das alles wieder hochzufahren.

Eine Interimslösung würde das abmildern?

Dr. Manfred Bäcker: Eine Interimslösung würde das mit Sicherheit abmildern. Ich denke auch an den Kulturfundus, den man zugemacht hat. Würde der wieder ins Leben gerufen, könnte auch das helfen, einen Übergang zu gestalten.

Ansonsten – spricht man von zehn Jahren, ist das ein relativ langer Zeitraum. Da wartet dann bereits in fünf Jahren die  nächste Kommunalwahl. Falls wir uns mit Zukunft für Biedenkopf in den ersten fünf Jahren bewähren, gehe ich davon aus, dass wir in der dann folgenden Legislaturperiode noch stärker werden.

Christoph, wie steht Biedenkopf in zehn Jahren da?

Christoph Cerny: Ich setze viel darauf, dass wir in so genannten Task Forces einzelne Themengebiete speziell bearbeiten. Das sind fünf bis zehn Mann starke Gruppen, die sich jeweils konzentriert um ein Thema kümmern, Konzepte entwickeln und mit umsetzen. Momentan kann man beobachten, bei uns genauso wie bei den anderen Parteien und Listen, dass da auch junge, neugierige Mitglieder hinzukommen. Ich kann mir gut vorstellen, mit diesen Leuten in den erwähnten Teams zusammen zu arbeiten.

Zehn Jahre sind ein vernünftiger Horizont, da lässt sich viel abarbeiten, das bisher liegengeblieben ist. Zum Teil gibt es dafür ja auch bereits Konzepte und Ansätze, die man überdenken oder auf die man auch gleich aufbauen kann. Auf einen kurzfristigen Horizont von zwei oder drei Jahren projiziert, sollte zum Beispiel oben auf der Sackpfeife tatsächlich wieder mehr Bewegung in die Dinge zu bekommen sein.

MarkusBiedenkopf in zehn Jahren?

Markus Plitt: … liegen hoffentlich zehn Jahre hinter uns, in denen keine Ideen und keine Gedanken verboten waren. Jeder durfte einbringen, was ihm vorschwebte, und man hat gemeinsam die eine oder andere Lösung gefunden. Vor einem Horizont von zehn Jahren wäre für mich noch eines zu nennen, was ich toll fände: Gerade nach mittlerweile gut einem Jahr Corona und der Einsicht, dass es nicht immer eine Fernreise, sondern ruhig auch mal der Urlaub in heimischen Gefilden sein kann – gerade mit dieser Erkenntnis werden wir hoffentlich den Tourismus in der Region besser ausbauen. Wozu natürlich auch Hotelbetten, Pensionsbetten, Ferienwohnungen sowie die eine oder andere Freizeitattraktion – nicht zu hoch gehangen – auf der Sackpfeife gehören.

Christoph Cerny: Biedenkopf hat ja bewiesen – und beweist es immer wieder –, dass wir mit unserem Grenzgang in ganz kurzer Zeit sehr viel schaffen. Das läuft einfach alle sieben Jahre, das funktioniert. Natürlich weiß ich, dass sich dies genau über diesen Siebenjahresrhythmus begründet – jedes Jahr einen Grenzgang zu stemmen, würde sicherlich nicht funktionieren. Trotzdem würde ich diese Organisationsfähigkeit, die wir da alle teilen,  gerne zwischen den Grenzgängen in unsere Arbeit einbringen. Mit der Gründung unseres Vereines erhoffe ich mir, noch viele jüngere Bürger „abzuholen“, die passiv, aber noch lieber aktiv an einer attraktiven Zukunft hier vor Ort mitarbeiten wollen. Diese Möglichkeit ist jetzt durch eine Plattform wie unsere gegeben.

alle Fotos: ZfB

Veröffentlicht in Wahl 2021, Wahlliste, ZfB.